Günter Krawutschke. Gesichter der Arbeit

Fotografien aus Ostberliner Industriebetrieben von 1971-1986

Günter Krawutschke. Gesichter der Arbeit
VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke (BMHW), 1983. Günter Krawutschke schreibt später zu dieser Szene im BMHW: „Das ist eine von den Stellen, wo es besonders hart zur Sache ging. Metall wurde gebogen, gepresst, gewalzt und gezogen, und die Maschinen waren nicht gerade das, was man heute kennt. Man sieht die Schwere der Arbeit, und wie sie da wirklich knechten mussten. Der Mann ist total erschöpft, und mit dem Arbeitsschutz war es auch nicht weit her. Wenn ich aus so einem Werk nach Hause kam, war ich immer total geläutert.“ © SDTB, Historisches Archiv / Foto: Günter Krawutschke

Bis zum Fall der Mauer 1989 gehörten Fabriken wie das Kabelwerk Oberspree (KWO) oder der VEB Elektrokohle (EKL) in Berlin-Lichtenberg zu den bedeutenden Industriebetrieben im Ostteil der  geteilten Stadt.

Ungeschönte und teils intime Einblicke in diese längst verschwundene Arbeitswelt vermittelt die Fotoausstellung Gesichter der Arbeit, die das Deutsche Technikmuseum in Berlin noch bis zum 8. März 2020 präsentiert.

Die Schau ist ein passender Beitrag zum Jubiläum „30 Jahre Friedliche Revolution und Mauerfall“ und Premierenprojekt auf der neuen Ausstellungsfläche für Fotografie und Grafik, der Großen Galerie im Neubau.

Günter Krawutschke. Gesichter der Arbeit
Wandzeitung zum VIII. Parteitag der SED, VEB Kühlautomat Berlin, 1971. Ein Arbeiter des VEB Kühlautomat Berlin gestaltet eine Wandzeitung anlässlich des VIII. Parteitags und des 25-jährigen Bestehens der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). © SDTB, Historisches Archiv / Foto: Günter Krawutschke

Günter Krawutschke arbeitete in der Entstehungszeit der 50 ausgewählten Aufnahmen als Fotograf und Bildreporter für den Berliner Verlag. So hatte er Zugang zu fast allen Industriebetrieben in Ostberlin. Krawutschke nutzte die Aufenthalte in den Werken, um neben den offiziellen Auftragsbildern auch ungestellte Fotos vom Alltag der Werktätigen und ihren Arbeitsbedingungen vor Ort zu machen. Seine Bilder zeigen emotionale Momente und starke Charaktere vor dem nüchternen Hintergrund des harten Arbeitsalltags. Es sind Aufnahmen, die zu DDR-Zeiten selten veröffentlicht werden konnten.

Krawutschke wurde so unbeabsichtigt zum Chronisten einer Wirklichkeit, die schon wenige Jahre später nicht mehr existierte. Der politischen Wende 1989/90 folgte ein radikaler ökonomischer Umbruch in Ostdeutschland. Davon waren auch viele Betriebe im Osten Berlins betroffen. In den Werkhallen von damals befinden sich heute oft Asiamärkte, Luxuslofts oder Kreativ-Start-ups.

Günter Krawutschke. Gesichter der Arbeit
Skatrunde, VEB Transformatorenwerk „Karl Liebknecht“ Oberschöneweide (TRO), 1979. Drei Männer sitzen sehr entspannt in einer riesigen Werkhalle des Transformatorenwerks Oberschöneweide und spielen eine Runde Karten. © SDTB, Historisches Archiv / Foto: Günter Krawutschke

Menschen in Kittelschürze, Blaumann oder Unterhemd

Ostberlin, 1970er Jahre: Krawutschke ist fasziniert von den Menschen, die er in den Betrieben trifft. Er fängt sehr verschiedene Momente ihres Arbeitsalltags ein: die in der Pause Karten spielenden Arbeiter im VEB Transformatorenwerk „Karl Liebknecht“ Oberschöneweide (1979), den Werktätigen Joseph Klimanel in seiner angeschmutzten Arbeitsjacke im VEB Elektrokohle Lichtenberg (EKL) vor der Wandzeitung zum 66. Jahrestag der Oktoberrevolution 1983, eine Näherin in Kittelschürze an ihrer Nähmaschine im VEB Treff-Modelle (1984) oder 1983 die erschöpften Beschäftigen bei ihrer schweren Arbeit in den Metallhütten- und Halbzeugwerken (BMHW).

Günter Krawutschke. Gesichter der Arbeit
VEB Elektrokohle Lichtenberg (EKL), 1979. Eine Arbeiterin im VEB Elektrokohle nutzt eine Arbeitspause, um ihr Haar zu kämmen. © SDTB, Historisches Archiv / Foto: Günter Krawutschke

Aber auch Bürosituationen, Betriebsfeiern oder Massenveranstaltungen wie die anlässlich des Besuchs Erich Honeckers und des chilenischen Kommunistenführers Luis Corvalán im VEB Bergmann-Borsig 1977 hält er im Bild fest.

So entstand in den letzten beiden Jahrzehnten der DDR ein einzigartiges Dokument der ostdeutschen Industriearbeiterschaft. Das Deutsche Technikmuseum erwarb 2018 einen großen Teil dieses fotografischen Werks. Der Bestand umfasst über 4.000 Negative und viele Originalabzüge. Dazu kommen noch Fotoreportagen diverser Großereignisse im Ostberlin der 1970er und 1980er Jahre sowie die fotografische Dokumentation von Straßen und Bauten im Zentrum Berlins. Damit verfügt das Deutsche Technikmuseum über einen herausragenden Bildfundus zur Industriekultur Berlins, mit dem Stadtgeschichte und Sozialgeschichte künftig prägnant erzählt werden können.

Günter Krawutschke. Gesichter der Arbeit
Heizkraftwerk Klingenberg, 1981. Das 1926 in Betrieb genommene Kraftwerk in Berlin-Rummelsburg ist nach seinem Konstrukteur Georg Klingenberg benannt. Sein Bruder Walter zeichnet zusammen mit Werner Issel für die expressionistische Architektur des Baus verantwortlich. Es ist bis heute in Betrieb. Neben der Versorgung des Ostens Berlins mit Fernwärme wurde und wird hier auch Strom erzeugt – unter anderem für die Berliner S-Bahn. © SDTB, Historisches Archiv / Foto: Günter Krawutschke

Industrie und Arbeit in Ostberlin vor 1990

Berlin war vor dem Fall der Mauer ein bedeutender Industriestandort. Dies galt insbesondere für den Ostteil der geteilten Stadt. In der Hauptstadt der DDR schlug neben dem politischen auch das industrielle Herz des Arbeiter- und Bauernstaats. Eine Vielzahl von Volkseigenen Betrieben (VEB) verteilte sich über das Stadt-gebiet, darunter auch über ein Dutzend Großbetriebe mit mehreren tausend Beschäftigten.

Es dominierte die Elektroindustrie mit Betrieben wie dem Elektroapparatewerk (EAW), dem Kabelwerk Oberspree (KWO), Elektrokohle (EKL) oder Bergmann-Borsig. Daneben gab es Großbetriebe der Metall-, Textil- und chemischen Industrie wie den VEB Treff-Modelle oder die Metallhütten- und Halbzeugwerke (BMHW).

Günter Krawutschke. Gesichter der Arbeit
Vertragsarbeiterin, VEB Glaswerk Stralau, 1984. Bis zum Bau der Mauer 1961 hatten ca. 3,4 Millionen Menschen die DDR Richtung Westen verlassen. Der dadurch hervorgerufene Arbeitskräftemangel war noch bis in die 1980er Jahre zu spüren. Das Regime schloss aus diesem Grund Verträge mit anderen sozialistischen Staaten, um von dort gezielt Arbeitskräfte anzuwerben. © SDTB, Historisches Archiv / Foto: Günter Krawutschke

Sie alle waren Teil des Systems der sozialistischen Planwirtschaft der DDR und befanden sich als „Volkseigene Betriebe“ unter staatlicher Kontrolle. Über Parteisekretär, Betriebsparteiorganisation und Gewerkschaft bestand zudem eine enge Bindung an die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) als herrschende politische Kraft.

Über Günter Krawutschke

Günter Krawutschke wurde 1940 in Staßfurt (Sachsen-Anhalt) geboren. Nach Oberschule und Armeedienst arbeitete er als Kameraassistent beim Deutschen Fernsehfunk (DFF) in Ostberlin. Zwischen 1965 und 1992 war er als Bildreporter und Fotograf für den Berliner Verlag tätig. Seitdem arbeitet er als freiberuflicher Fotograf und Designer.

Parallel zu seiner Berufstätigkeit absolvierte er eine Fotografenlehre und im Anschluss ein Diplomstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Er war Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR.

Günter Krawutschke. Gesichter der Arbeit
Brigadefeier, VEB Elektrokohle Lichtenberg (EKL), 1979. Anlässlich des Dienstjubiläums einer Kollegin hat sich eine Brigade des VEB Elektrokohle zu einer kleinen Feier versammelt. © SDTB, Historisches Archiv / Foto: Günter Krawutschke

Neben einer Vielzahl journalistischer Veröffentlichungen wurden seine Fotos seit 1982 in rund einem Dutzend Ausstellungen sowie in mehreren Bildbänden gewürdigt. Neben Industrieporträts widmete er sich vor allem der Architektur im Zentrum Berlins – so dokumentierte er die Spandauer Vorstadt, von 1988 bis 1995 den Wiederaufbau der Neuen Synagoge Berlin in der Oranienburger Straße oder die Entwicklung der Friedrichstraße seit 1990.

Günter Krawutschke lebt seit 1979 in Blankenfelde-Mahlow südlich von Berlin.

Bis zum 31. März 2019 ist im gleichen Haus in der Galerie der Fototechnikausstellung auch die Ausstellung Der Meeresfotograf Franz Graf von Larisch-Moennich zu sehen.

Besucherinformationen

Deutsches Technikmuseum
Trebbiner Straße 9, D-10963 Berlin-Kreuzberg

Ausstellungsdauer: bis 8. März 2020
Öffnungszeiten: Di bis Fr 9.00-17.30 Uhr, Sa. u. So 10-18 Uhr
Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, bis 6 Jahre frei

Bilder und Texte mit freundlicher Genehmigung von Deutsches Technikmuseum

Unsere chronologische Übersicht aktueller Fotoausstellungen im deutschsprachigen Raum.